Ein paar Zeilen über meine beste Freundin zu schreiben, das war der Plan. Jetzt sind es schon mehrere Seiten und ich bin immer noch nicht fertig. Deshalb muss ich das ganze ein bisschen besser strukturieren, schließlich möchte ich ihr und unserer Freundschaft gerecht werden.
Als „Gerüst“ habe ich ein Lied unserer beider Lieblings-Liedermacher Reinhard Mey genommen („Flaschenpost“ von Reinhard Mey, erschienen auf dem Album „Flaschenpost“)
Wir hab‘n uns Hollywoodfilme ausgedacht,
Seifenopern voll Sturm und Drang.
Wir hab‘n uns heiser geredet und Pläne gemacht,
Große Gesten, den Weg entlang
Wo lernt man heutzutage Leute kennen? – genau: im Internet. Nette und weniger Nette. Gefährliche und Harmlose. Man kann die Liebe des Lebens ebenso finden wie Freunde fürs Leben.
Lotta – ein Name in einem Forum für Menschen mit einer schwerwiegenden psychischen Störung. 5 Buchstaben und ein kleines Bildchen daneben, in einem endlosen Gewirr von Worten. Angefangen hat es mit einer PN von ihr, in der sie mir alles Gute für die IHK-Prüfung gewünscht hat. Aus Antwort, Gegenantwort und so weiter, sporadischen Chats entwickelte sich Ende 2006 nach und nach eine „PN-Mail-Brief-Freundschaft“. Wir fanden zahllose Gemeinsamkeiten. Aufgewachsen in einer „speziellen“ Familie, Erfahrungen mit Missbrauch und Gewalt, extreme Probleme mit der Mutter, Ess-Störung und Selbstverletzenden Verhaltens bot uns Stoff für seitenlange Mails, PNs und ab Dezember 2007 stundenlange Telefonate.
Ein Freund, so vertraut, wie kein anderer.
Ein Schelm, wie‘ s ihn zweimal nicht gibt.
Ein suchender, unsteter Wanderer.
Ich habe ihn so geliebt.
Nach eher zweifelhaften Erfahrungen, die wir mit Chat-und Forumsbekanntschaften schon gemacht hatten, beschlossen wir, dass das erste Treffen 2008 auf neutralem Boden stattfinden sollte. Auf nicht ganz halber Strecke zwischen Erkelenz und Kiel: in Bremen. Nach dem ersten Beschnuppern am Bahnhof verbrachten trotz Dauerregens einen wunderschönen Tag zusammen mit Picknick, Shoppen und dem gemeinsamen Besuch bei den Bremer Stadtmusikanten. Gemeinsam packten wir den Esel an den Hufen, wünschten uns jeder was – unseres ging in Erfüllung. Mit einem Eis und einem letzten Kaffee bei Subway ging der Tag zu Ende. Eines war aber sicher: das sollte nicht unser letztes Zusammentreffen gewesen sein.
Ostern 2009 verbrachten wir in Kiel. Da war Lotta schon nicht mehr ganz fit. Hatte sie in Bremen schon unter starken Rückenschmerzen gelitten, die sie einfach weggelächelt hatte, merkte man es ihr bei dem Besuch schon deutlicher an. Ich erinnere mich auch noch lebhaft an den Satz „Ich muss mal zum Arzt, ich glaube, da wächst wo was, das da nicht hingehört“.
Trotzdem bereiteten sie und Klaus uns ein super schönes Osterfest mit Eier-Verstecken, Dart-Spielen und endlosen Gesprächen über alles, nichts und jedes.
Schnell war klar: Weihnachten würden wir wieder hinfahren.
Da war Lotta schon krank. Todkrank. Einen Teil des Jahres hatte sie bereits bei einer sehr guten Freundin in Berlin verbracht, mehrere Zyklen Chemotherapie hinter sich gebracht und sie saß zu dem Zeitpunkt schon im Rollstuhl. Stundenlang haben Walter und ich sie quer durch Kiel geschoben. Die Bergstraße runter und hoch, zu C&A, Backwerk, Karstadt, die Holtenauerstraße hoch bis zum Wochenmarkt – die Ostertage waren einfach viel zu schnell vorbei. Bei mir stand im Anschluss an den Urlaub direkt die OP am Bauchnabel an. Lotta, die von Chemo zu Chemo, von Blutabnahme zu Bluttransfusion pilgerte wurde nicht müde, mir die Angst zu nehmen. Sie hörte stundenlang zu, als ich jammerte. Sie selbst habe ich in der ganzen Zeit nicht einmal klagen hören.
Anfang Juni, über Walters Geburtstag fuhren wir ja schon wieder hin. Lotta hatte ihre Zelte in Berlin abgebrochen, war zu Klaus in die eheliche Wohnung zurück gekehrt, wo sie den ganzen Tag alleine war. Umso mehr genossen wir die gemeinsamen Tage (trotz der erbärmlichen Leistung der englischen Mannschaft bei der Fußball-WM…). Wir schauten Fußball, Kinderserien, hörten Reinhard Mey und Genesis, sie lag im Bett, ich bekasperte sie vom Crosstrainer aus, der an ihrem Fußende stand. Immer wieder nickte sie mitten im Satz ein und ich machte mir Sorgen. Immer mehr Sorgen.
Aber trotz allem bereitete sie Walter einen tollen Geburtstag mit selbst gemalten Einladungskarten, Erdbeerkuchen in Herzform und wunderbarem improvisiertem Raclette am Abend. Sie selbst konnte so gut wie nichts essen. Jeden Morgen brachte ich ihr vom Bäcker einen Mozarellataler mit, wenn ich auf meiner Laufrunde an der Förde entlang Brötchen zum Frühstück holte. Wir kaufen kiloweise Erdbeeren vom Stand an der Straße, Aprikosen, Nektarinen, das schönste Obst – und wie haben wir uns gefreut, wenn sie Appetit hatte und eine Handvoll Erdbeeren bei sich behalten konnte! Zu jedem Abend schnibbelten Walter und ich für sie „Krachsalat“ (Eisberg), aber gegessen hat sie kaum was. Einen Tag kutschierten wir quer durch Kiel zu Ikea, wo wir Tränen lachten, als sie sich plötzlich Hasenzähne einsetzte (die hatte sie zur Belustigung aller immer im Geldbeutel) und wir mit Gusto einen Kaffee tranken. Einen Nachmittag zeigte sie uns ihre Instrumentensammlung: eine Querflöte, ein Saxofon, eine Chalimeau und eine Blockflöte und natürlich auch eine Gitarre. Sie zeigte sie uns nicht nur – wir durften auch alles ausprobieren.
Den Ausflug nach Molfsee ins Freiluftmuseum genoss sie ebenso sehr wie wir. Und wie viel Spaß hatten wir zusammen auf dem historischen Karussel! Mit Appetit aß sie ein Käsebrötchen, erzählte voller Leben von ihrer Arbeit (sie war schon sehr lange wegen Erwerbsunfähigkeit berentet) als milchwirtschaftliche Laborantin. In Laboe zeigte sie uns das U-Boot, wir kämpften uns durch „eine steife Brise“ die Promenade entlang und sie hatte Freude an einem Fischbrötchen. Und wir genossen es sehr, ihre Freude an einer Plüsch-Kuh, einem Delfin-Kissen von Tchibo, einer Zip-Off-Hose von C&A, Socken, das wir ihr mal geschickt hatten zu sehen… sie war so positiv!
Und dann der Abschied. Ihr ging es sehr schlecht. Mit einem Eimer am Bett mussten wir sie zurück lassen. Sie hatte sich mit unserem Besuch sehr übernommen, mussten wir einsehen.
Aber sie wollte es so. Keinen Augenblick hat sie gejammert, wenn wir ihrem Rolli über Kopfsteinpflaster schoben, nein – sie hat uns bedauert, dass wir sie schieben „mussten“, so „schwer“ wie ihr (von der Chemotherapie ausgezehrter Körper) sei. Bevor wir mit dem Taxi zum Bahnhof aufbrachen, stand schon der Plan, dass ich den ganzen Dezember bei ihr verbringen würde, Walter dann Weihnachten und Neujahr nachkäme. Im Nieselregen ging es zum Bahnhof. Im Radio lief: „Geboren um zu leben“ von Unheilig. Und wir machten dem Regen Konkurrenz. Mir liefen die Tränen einfach nur so übers Gesicht und auch Walter rang mit der Fassung.
Kein Brief, keine Nachricht, er ruft nicht mehr an
Sie konnte nicht mehr anrufen. Einmal paar Mal haben wir sie noch kurz gesprochen, am Abend nach unserer Heimfahrt.
Am 20.06. startete ich beim Erkelenzer Citylauf, Lotta schickte mir eine PN mit den besten Wünschen. Sie sei so platt, war ein paar Tage in Berlin gewesen (bei ihrer Ärztin, noch einmal Untersuchungsergebnisse abholen). Wünschte alles Gute für den Lauf. Abends schickte ich ihr SMS mit den Ergebnissen, da kam schon keine Antwort mehr. Ich schickte immer wieder SMS, bat um Lebenszeichen. Mitte Juli ging ich eines morgens früh los, einkaufen für ein Care-Paket, wie wir es ihr so oft schon geschickt hatten: ein paar Leckereien, kuschelige Bett-Socken, Tee, Saft, was zum Spielen, eine CD, eine DVD – irgendwas fanden wir immer. Und sie hat sich immer so sehr gefreut. An diesem Tag war ich bei DM, habe schöne weiche Kinderkekse und ein paar Bettsocken gekauft. Zu Hause angekommen blinkte das Telefon. Ein Anruf in Abwesenheit, unbekannter Anrufer. Als hätte ich es gespürt, loggte ich mich in ihrem Forum ein. Neuester Eintrag: Lotta hat keine Schmerzen mehr.
Sie war einfach weg. Und ich war so unendlich traurig.
Und er fehlt mir an manchem Tag.
An manchem Tag, wenn ich den Dünenweg geh,
Denk‘ ich, gleich taucht er aus dem Nebel auf.
Da, die dunkle Gestalt, die ich am Wegende seh,
Die große Gesten macht! Und ich lauf,
Wenn er‘s ist, wird er mich von fern erkennen, darum ist mir nicht bang,
An den offenen Armen,
An der albernen warmen
Mütze und an meinem Gang.
An den offenen Armen,
An der albernen Mütze
Er wird mich erkennen am Gang!
.
Sie fehlt mir schrecklich, auch heute noch. Eigentlich jeden Tag. Bei so vielen Gelegenheiten denke ich an sie. Wenn ich Sachen sehe, die sie mir geschenkt hat, an der Wand hängen Fotos von ihr und so oft fallen uns Sachen ein, die sie gesagt oder getan hat.
Ja, ich bin traurig, dass sie weg ist, aber auch froh, dass ich sie gekannt habe, dankbar für die Zeit, die ich mit ihr verbringen durfte. Aber auch sauer auf ihre Familie. Sie hatte es so oft so schwer im Leben und dann, als sie es endlich geschafft hatte, sich von der Familie zu befreien schlug der Krebs zu. Grausam und unerbittlich. Heute noch habe ich ihre Nachricht auf unserem Anrufbeantworter, die mich immer wieder zum Grinsen unter Tränen bringt: „Ich wollte nur sagen, ich war bei meiner Ärztin. Sie war selber überrascht von den Blutwerten. Ich kann jetzt sagen, ich bin nicht mehr todkrank, nur noch schwer krank!“
Aber der Schein trog. Metastasen in der Leber zwangen sie in die Knie. Sie fiel ins Koma, der Kampf war verloren. Und ich habe sie verloren.
Wirklich? Habe ich sie verloren?
Ohne pathetisch klingen zu wollen: sie schickt mir Zeichen. An der steilsten Stelle der DM-Strecke in Hausen, die ich abends noch für mich in der Dämmerung gelaufen bin, als alle anderen schon bei der Siegerehrung im Zelt waren flatterte plötzlich ein schneeweißer Schmetterling quer über den Weg. Um eine Uhrzeit, zu der Schmetterlinge gar nicht mehr unterwegs sind!
Beim Volkslauf in Gillrath sprießte mitten im asphaltierten Weg an einem grauen, völlig verregneten Tag eine leuchtend rote Blume.
Und irgendwie ist es ja auch eine schöne Vorstellung: Lotta mit Basecap, ihren grünen Kuh-Birkis an den Füßen, die Plüschkuh und den Delfin neben sich, die Gitarre in der Hand auf einem weißen Wölkchen, wie sie mir zuschaut und mir ab und zu zeigt, dass auch sie mich nicht vergessen hat.
2014
Liebe Lotta,
weißt du noch, vor vier Jahren? Die letzte Fußball-WM? Als ich vor Scham die englische Flagge unter dem Kissen von Klaus versteckt habe? Als ihr extra für mich die super leckeren Mini-Hauchdünn-Knäcke gekauft habt, damit ich zu den Spielen was knabbern konnte?
Weißt du noch, wie wir uns schlapp gelacht hatten, weil wir so super kompetente Kommentare auf Lager hatten, die so gar nicht zu den Spielen passen wollten? Über Frisuren, Figuren, Trikots und Schuhe?
Schon vier Jahre ist es her. Und Ende des Monats ist es auch schon vier Jahre her, dass wir uns nicht mehr gesehen haben. Es ist aber kein einziger Tag vergangen, an dem ich nicht an dich gedacht habe und dich nicht vermisst habe. Du fehlst mir so.
ABER
hab vielen Dank für die kleinen Zeichen, die du mir schickst,
die mir sagen
DU DENKST AUCH AN MICH:
fast jeden Tag sind da die schönsten Schmetterlinge an meinem Weg
die mir sagen: Guten Morgen, hallo, Guten Abend und
DAS WIRD SCHON, AUCH WENNS NICHT SO AUSSIEHT
und dann beim Laufen im Urlaub
da hast du dem ganzen echt die Krone aufgesetzt:
nach 90 Minuten Hausen auf-Hausen ab-Gerenne
kurz vor dem Bahnhof mitten auf der Landstraße
das Reh, das mir sagte: Hab einen schönen Tag
und Grüße an Walter und ihm Happy Birthday!
DANKE.
2015
How I wish, how I wish you were here
We're just two lost souls
Swimming in a fish bowl
Year after year
Running over the same old ground
What have we found?
The same old fears
Wish you were here
(Pink Floyd, Wish you were here)
Gestern auf der Autobahn. Ausgerechnet das Lied. Plötzlich war es, als wärst du da. Im Auto. Neben mir auf dem Beifahrersitz. Die Gedanken an dich haben mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Aber der Sitz war leer. Du fehlst mir so unendlich. I wish you were here.
2016
Fußball gucken ist einfach nicht das Selbe ohne dich. Also haben wir bei der EM nicht ein einziges Spiel angeschaut. Du fehlst mir. Jeden einzelnen Tag.
2017
Dieses Jahr ohne Worte. Denn eigentlich ist alles schon längst gesagt.
Hab ich heute im Internet gefunden. Hätte dir gefallen, vor allem hätte ich dir dazu die Bilder gezeigt, die ich bei meinem Treffen mit David Readman (damals Sänger von Pink Cream69) gemacht habe. Ein echter Superstar, 1998 im Rainbow!!! Und bei dem Lied musste ich natürlich an dich denken.
So If I Try To Heal My Own Mistakes
There’s Nothing Left For Me
Only Heartache
Come With Me, And Join Me
I Don’t Think I Can Take It Anymore
Without You
Cause You Left Me All Alone
I’ll Hold On, And Be Strong
The Days Seem Like Forever In My Life
Without You, Yes It’s True
2018
8 Jahre schon, seit wir zusammen WM geguckt haben. Und, nein, es wird nicht leichter. Es wird nur weniger schwer.
Hab ich heute im Internet gefunden. Hätte dir gefallen, vor allem hätte ich dir dazu die Bilder gezeigt, die ich bei meinem Treffen mit David Readman (damals Sänger von Pink Cream69) gemacht habe. Ein echter Superstar, 1998 im Rainbow!!! Und bei dem Lied musste ich natürlich an dich denken.
So If I Try To Heal My Own Mistakes
There’s Nothing Left For Me
Only Heartache
Come With Me, And Join Me
I Don’t Think I Can Take It Anymore
Without You
Cause You Left Me All Alone
I’ll Hold On, And Be Strong
The Days Seem Like Forever In My Life
Without You, Yes It’s True
I’m So Lonely Without You