Donnerstag, 19. Oktober 2017

Auf den Spuren der (unrühmlichen) Geschichte - Ausflug nach Vogelsang

Tatsächlich - der Rursee bietet einiges mehr, als den Marathon! Vor mehreren Jahren waren wir dort schon einmal wandern gewesen, damals auf dem Uferweg. Dieses Mal sollte uns der Weg zur ehemaligen Ordensburg Vogelsang und nach Wollseifen führen, beides Orte der Erinnerung an die unrühmliche Geschichte Deutschlands, die mich besonders auch deshalb interessiert, weil meine Familie nationalsozialistisch nicht ohne Vorbelastung ist.

Geschichte, wunderschöne Landschaft, traumhaftes Wetter, leckeres Picknick - wir machten uns auf jeden Fall am Sonntag, 15.10. auf den Weg in die Eifel.
Über zahllose Serpentinen, begleitet von unzähligen Motorradfahrern erreichten wir nach etwa einer Stunde den Parkplatz der Burg Vogelsang. Das Parken kostet 4 Euro pro Tag, die Burg selbst kostet keinen Eintritt (die Sonder-Ausstellungen sind kostenpflichtig, dafür sind die Toiletten öffentlich, sauber  und kostenlos). Wir haben uns auf die Burganlage beschränkt, das weitläufige Gelände bot uns reichlich Zeitvertreib.
 
Walter hatte beim Betriebsausflug eine Führung über das Gelände mitgemacht und konnte einiges über die Geschichte erzählen. So kurz die Geschichte der Burg ist, so bewegt ist sie auch, hier eine Kurzfassung, zusammengesucht aus dem Internet.
1936-1939 Kaderschmiede für den nationalsozialistischen Nachwuchs 
1940 Kaserne für die Wehrmacht beim Westfeldzug und 1944 bei der Ardennen-Offensive 
Ab 1941 Adolf-Hitler-Schule 
1944 ein Wehrertüchtigungslager für Jugendliche. 
ab 1942 wurde aus dem Haus für die weiblichen Angestellten ein Heim für werdende Mütter, die sogar bis aus dem Rheinland in die Eifel evakuiert wurden.
Wie bei allen Ordensburgen, gehörte mit dem Flugfeld Walberhof auch zu Vogelsang ein Flugplatz, auf dem 1944 auch eine Messerschmidt Jagdflugzeugstaffel stationiert wurde.

Insgesamt umfasst die Burg mehr als 50.000m² Fläche und ist damit eine der größten nationalsozialistischen baulichen Hinterlassenschaften nach dem Parteitagsbauten in Nürnberg. Das Bauvorhaben war, wie so vieles aus der Zeit, von Größenwahn geprägt. So sollten auf einer Grundfläche von 100m x 300m ein "Haus des Wissens" (eine Bibliothek) entstehen, dazu ein "Kraft durch Freude-Hotel" mit 2000 Betten (erinnert an das Mammut-Bauwerk Prora auf Rügen, das 20.000 Betten bieten sollte). Tatsächlich realisiert wurden der Eingangsbereich mit Tor und 2 Türmen, der Adlerhof, die Burgschänke, 10 Kameradschaftshäuser für 50 Zöglinge, 4 "Hundertschaftshäuser", der Thingplatz, die Sportanlage samt Sport- und Schwimmhalle, der Fackelträger, das Sportlerrelief und das Haus für die weiblichen Angestellten. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurde der Komplex erst von den Briten übernommen (sie richteten auf dem umliegenden Gelände einen Truppenübungsplatz ein), nach 1950 ging das Gebiet an die Belgier, die dort unter dem Namen "Camp Vogelsang" eine Kaserne samt Truppenübungsplatz einrichteten. Sie bauten dazu eine Tankstelle und das Kino; die Soldatenunterkunft "Van Dooren" steht heute auf den Grundmauern, auf denen das "Haus des Wissens" entstehen sollte.

Nach der Gründung der NATO 1956 und Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland übten, neben den Soldaten aus Belgien, auch NATO-Einheiten aus Holland, Großbritannien, Frankreich, Luxemburg, den USA, Deutschland und Kanada auf dem durch das belgische Militär verwalteten Übungsplatz gemeinsam. 1960 wurde das Übungsgelände auf 4200 ha verkleinert. Seit 2006 wird das Gebiet zivil genutzt, wurde sehr aufwändig saniert (Kostenpunkt 45 Millionen Euro) und kann besichtigt werden. Abgesehen von den Schäden, die der Krieg und die Nutzung als Teil des Tuppenübungsplatzes hinterlassen haben, sind die meisten Gebäude noch komplett vorhanden. Die sichtbaren Zeichen wie Adler, Hakenkreuze und ähnliches wurden entfernt.

Wie wichtig der Körperkult zu diesen Zeiten waren, zeigen sowohl der Fackelträger auf dem Thing-Platz, 
 als auch 








die Jungs auf vom Sportler-Relief (kann man nicht mehr wirklich viel erkennen, nachdem im Rahmen der Militärübungen auf die Reliefs geschossen wurde).

So viel zur Geschichte von Vogelsang, jetzt ein paar persönliche Eindrücke.
Die Anlage ist imposant, die Gebäude riesig und man kann sich ganz gut vorstellen, wie dort die Nazi-Elite auf ihre künftigen Führungsaufgaben vorbereitet wurde. Mich hat vor allem die Treppe in einem der Türme sehr berührt, man meinte fast, die genagelten Stiefel auf den ausgetretenen Stufen hören zu können.


Sehr geschichtsträchtig ist auch das benachbarte Dorf Wollseifen, besser gesagt: das, was davon übrig ist. Nur knapp 3km von Vogelsang weg, sind wir natürlich hin gewandert. Erst runter ins Tal, dann auf 500 Höhenmeter wieder nach oben - Trail-Höhentraining vom Feinsten!
Und es hat sich absolut gelohnt. Die Aussicht von der Dreiborner Hochfläche ist das eine - die Überreste des verlassenen Ortes sind das ganz andere Thema. 

Im 12. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt, hatte der Ort nach dem Bau der Urfttalsperre 1899 bis 1904 als erster Ort auf der Hochfläche elekrtischen Strom und eine Wasserleitung. Außer der Kirche hatte der Ort eine Grundschule und mehrere Vereine. Arbeit fanden die Wollseifener außer auf dem eigenen Feldern beim Bau der Talsperre, aber auch beim Bau der Burg Vogelsang und des Dorfes Bogelsang (einer geplanten "Wohnanlage" für die zivilen Beschäftigten auf der Ordensburg, daraus wurde allerdings nichts. Im Kampf um die Eifel in der Spätphase des Zweiten Weltkrieges (September 1944 bis Januar 1945) kam es in Wollseifen zu Beschädigungen durch alliierten Artilleriebeschuss.

Die evakuierte Bevölkerung kehrte im Sommer 1945 in das unter britischer Administration stehende Wollseifen zurück. Im August 1946 ließ die britische Militärverwaltung den ca 120 Familien des Ortes (ca 500 Personen) genau 3 Wochen Zeit, ihr gerade erst notdürftig wieder bewohnbares Dorf samt der frisch bestellten Felder zu räumen. Die Menschen verloren erneut ihre Wohnung und ihren Arbeitsplatz, da sie von der Landwirtschaft lebten.

Am 1. September 1946 wurde Wollseifen von den Briten zum Sperrgebiet erklärt. Wenigstens die Getreideernte konnten die Bewohner vorher noch einbringen; für die Kartoffelernte erhielten sie an einem Wochenende im Oktober noch eine gesonderte Zutrittsgenehmigung.

Offenbar wurden die Wollseifener im Unklaren gelassen, sie glaubten noch sehr lang an eine baldige Rückkehr in ihre Häuser. Erst, als die Briten die Häuser praktisch zerschossen und als 1947 dann auch noch die Kirche ausbrannte, gaben wohl auch die Letzten ihre Hoffnung auf.
Nachdem der Truppenübungsplatz 1950 von den Briten an die belgischen Streitkräfte übergeben worden war, durften die Wollseifener einmal jährlich (zu Allerseelen) die Gräber ihrer Angehörigen besuchen. Nachdem diese aber 1954 zweimal wöchentlich vom etwa 23 km entfernten belgischen Truppenübungsplatz Elsenborn aus, mit Artillerie beschossen wurden, gab es bald nichts mehr zu pflegen und die Toten wurden 1955 auf die Friedhöfe der umliegenden neuen Wohnorte der ehemaligen Bewohner umgebettet.

Auf dem Gelände des ehemaligen Dorfs errichtete das belgische Militär zahlreiche Kulissenhäuser, um den Häuserkampf üben zu können. Beispielsweise wurde hier im Mai 2001 für den Kosovo-Einsatz trainiert.

21 von ursprünglich 52 Häusern stehen heute noch. Die Türen und Fenster im Erdgeschoss sind zugemauert, damit die Häuser nicht als Müllkippe oder Toiletten missbraucht werden können. Außerdem sind die Häuser wegen der militärischen Übugnen einsturzgefährdet. Und, ganz ehrlich: ob sich um die Häuser jemand die Finger lecken würde (wie ein Besucher von Vogelsang bei seinen ausschweifenden Erzählungen seinen beiden Begleitern, die gebannt an seinen Lippen hingen, weißmachen wollte) - ich weiß auch nicht ;-) Mir wäre ein Haus mit Wänden, Dämmung, Fenstern und einer Haustüre irgendwie lieber...



Am 20. August 2006 fand in der Kirchenruine der erste Gottesdienst nach 60 Jahren statt; einen solchen gibt es seither alljährlich wieder an dem auf den Namenstag des Heiligen Rochus (16. August) folgenden Sonntag (Patronatsfest).


Das Kirchenschiff erhielt 2008 einen neuen Dachstuhl. 2009/10 wurden weitere Restaurierungsarbeiten an der Kirche abgeschlossen; das Mauerwerk wurde trockengelegt, Fenster und Türen eingesetzt und im Inneren ein Auferstehungskreuz und drei kleine Kirchenbänke aufgestellt. Seither wurde die Kirche allerding schon mehrfach Opfer von Vandalismus und Diebstahl.

Von der ursprünglich zweigeschossigen Schule ist nur noch das Erdgeschoss erhalten. Dort kann man eine kleine Dokumentation zur Geschichte des Dorfes und des dörflichen Lebens besichtigen.

Ich fand das alles sehr interessant. Zurück nach Vogelsang gingen wir über die Hochfläche, ein wunderschöner Heide-Weg. 
Hier konnte man auch deutlich Spuren der "Ureinwohner" dieses Landstriches sehen. Einige Wiesen sind durch Wildschweine praktisch umgepflügt worden (Bild folgt).

Zurück in Vogelsang holten wir uns einen Kaffee (und einen Tee), preislich für ein touristisches Ziel absolut im Rahmen (5,40€ für 2 große Getränke) und setzten uns noch ein bisschen in die Sonne, bevor wir uns auf den Heimweg machten. Einziges Manko für uns eigentlich: der Parkschein-Automat am Parkplatz war kaputt und so knubbelte sich der Verkehr an der Ausfahrt ganz enorm.

Aber alles in allem für uns ein sehr gelungener Tagesausflug mit historisch-sportlich-landschaftlichem Touch. 10km gewandert und jede Menge Geschichte gelernt - was will man an einem einzigen Sonntagnachmittag noch mehr?